Es ist Anfang April 2009 - unsere letzte Afrika Tour liegt erst wenige Wochen zurück und die Fotos sind noch nicht fertig sortiert - da denke ich schon wieder darüber nach, ein zweites Mal in diesem Jahr nach Afrika zu fliegen. Einmal die Faszination gespürt, lässt einen die Sehnsucht nach Afrika nicht mehr los. So machte ich mich auf die Suche nach einem Praktikumsplatz im südlichen Afrika. Frank Lüder vom Deutsch-Südafrikanisches Jugendwerk (DSJW) unterstützte mich bei meiner Suche und sechs Wochen vor dem anvisierten Starttermin im Juli hielt ich ein Einladungsschreiben von Arno Faul, dem Leiter des Madikwe Rural Development Programme (MRDP) aus Südafrika in der Hand. Ein lang gehegter Traum sollte Wirklichkeit werden. Ich durfte zu einem 3-monatigen Freiwilligendienst nach Südafrika gehen. Meine Reise ging in die Region "Madikwe" in der Nord-West-Provinz.
Das MRDP ist eine Non-Profit-Organisation, die sich seit vielen Jahren der Verbesserung der Lebensverhältnisse der afrikanischen Bevölkerung in einer sehr ländlich geprägten Region widmet. Farmarbeiter erhielten Hilfe beim Erwerb von landwirtschaftlichen Flächen und deren Bewirtschaftung. Im Mittelpunkt des Entwicklungsprogrammes steht jedoch der Ausbau von Schulen und Kindergärten, der Aufbau von Freizeiteinrichtungen sowie die Aus- und Weiterbildung im Handwerk. Freiwillige Helfer, überwiegend aus Deutschland, unterstützten diese Aufbauarbeiten. Neben der projektbezogenen materiellen Unterstützung durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) sind seit 2008 nun auch ständig junge Leute im "weltwärts" Programm der deutschen Bundesregierung für ein ganzes Jahr vor Ort im Freiwilligendienst tätig. All das wusste ich bereits im Vorfeld, doch wie wird die Realität aussehen, es gab noch viele Fragen ohne jedoch konkrete Antworten zu erhalten. Ich blickte einer spannenden Zeit entgegen.
Um die Anreise musste ich mich selbst bemühen. Das Flugticket nach Johannesburg hatte ich schnell gebucht, ebenso wie das Busticket bei Intercape. Nun brauchte ich noch einen Transfer in Johannesburg vom Flughafen zum Park City Transit Centre, dem Busterminal. Im Internet fand ich ein privates Taxiunternehmen mit eigener Website. Meine Anfrage war binnen 24 Stunden positiv beantwortet, dies schien ein größeres sehr seriöses Unternehmen zu sein. Innerhalb weniger Tage war alles vorbereitet, jetzt konnte es los gehen.
Am 03.07.2009 war es endlich so weit. Der Flug war angenehm - wie immer bei South African Airline. Mein Taxifahrer erwartete mich wie vereinbart am Flughafen. Auf der Fahrt stellte sich heraus, dass es ein kleines Unternehmen war. Er selbst war der Chef und Eigentümer. Ich bekam noch Hilfe beim Kauf einer Telefonkarte. Er passte auch am Geldautomaten auf mich auf und lieferte mich persönlich am Schalter von Intercape ab. Da soll noch mal einer sagen, dass afrikanische Jungunternehmer nichts von gutem Business verstehen. Anschließend ging es per Bus bis Groot Marico, dort wurde ich abgeholt. Schnell noch eine kurze SMS an die Lieben in die Heimat geschickt und auf ging es in ein neues Abenteuer Afrika - diesmal jedoch allein.
Mein neues Zuhause für die nächsten drei Monate war ein altes Farmhaus nahe Skuinsdrift inmitten des Marico Bosvelds. Ausgestattet war mein neues Heim mit allem Notwendigen, was man zum Leben brauchte. Die erste Woche war sehr ruhig. Arno, der Projektleiter, war mit seiner Familie unterwegs und so nutzte ich die Zeit, den Farmalltag kennen zu lernen. Die "weltwärts" Studenten zeigten mir das Umfeld der Farm und ihre Projekte, wo sie nun schon seit 10,5 Monaten arbeiteten. Sie berichteten mir sehr viel von ihren Erlebnissen und Erfahrungen im Arbeitsalltag. Jeder hatte seine speziellen Aufgaben. Die Studenten arbeiteten beispielsweise als Lehrer in der Farmschule, als Allroundkräfte in Kindergärten, als Verkäufer im farmeigenen Shop, als Unterstützung der Sozialarbeiterin in der Region, als Haus- und Hofhandwerker und als Helfer im Naturschutz.
Ein Besuch im Madikwe Game Reserve war eine schöne Abwechslung in den ersten Tagen. Doch gingen wir nicht auf Safari. Wir waren unterwegs, um von geschützten Bäumen Äste zu schneiden und diese am nächsten Tag in eine Gärtnerei zu bringen. Unter fachlicher Anleitung kann man bei solchen Arbeiten viel lernen. Wussten Sie, dass Elefanten die Rinde weiblicher Marula Bäume mehr lieben, als die der männlichen, da sie süßer ist. So durfte ich einen kleinen, aber wichtigen Beitrag leisten, damit wir alle auch in Zukunft "Amarula", einen leckeren südafrikanischen Likör aus den Früchten des Marula Baumes genießen können und natürlich, dass die Artenvielfalt der südafrikanischen Flora erhalten bleibt.
Meine Aufgaben auf der Farm und für das MRDP waren sehr vielfältig. Zunächst galt es, für das „weltwärts“ Programm eine kleine Buchführung neu zu organisieren. In den vergangenen Jahren waren schon viele private Volontäre für die Projekte tätig gewesen, nun galt es aber, einen Report nach deutschen Anforderungen zusammenzustellen. Zu Beginn war es eine kleine Herausforderung, denn alle Belege waren in Englisch oder Afrikaans und auch Windows wollte natürlich nicht in Deutsch mit mir kommunizieren. Doch wo ein Wille ist, gibt es immer auch einen Weg.
Auf dem Farmgelände haben die Freiwilligen einen kleinen Shop für die lokale Bevölkerung aufgebaut, auch hier wurden „Hilfskräfte“ gern gesehen. Viele der Kunden sprachen kein Englisch, ich natürlich kein Setswana, die Muttersprache der einheimischen Bevölkerung dieser Region. Doch wozu hat man Hände und Füße. Mit ein bisschen gutem Willen und Geduld auf beiden Seiten hat jeder am Ende bekommen, was sein Herz begehrte. Neben Grundnahrungsmitteln und Hygienebedarf verkauften wir auch frische und gekochte Eier aus eigener Produktion. Dies setze aber voraus, dass unsere Hühner gut versorgt wurden. Die Kinder der Umgebung kamen fast täglich und die Freude über ein wenig Small-Talk oder ein kleines gemeinsames Spiel lag immer auf beiden Seiten.
Ein kleiner Hilferuf von der Leiterin des „Simba Early Learning Centre" erreichte das MRDP und brachte mich Ende Juli nach Zeerust zu einer wunderbaren privaten Vorschuleinrichtung für 150 Kinder verschiedener Bevölkerungsgruppen der Regenbogen-nation. Als ich aufbrach, wusste ich zwar, dass ich ein Bett haben werde, doch wo es steht, was mich erwartete und für wie lange ich dort sein werde, war mir noch nicht bekannt. Also hieß es ein paar Sachen einpacken, dicke Pullover und Schlafsack nicht vergessen, denn es war kalt - regelrecht eisig kalt in Afrika. Zwei Wochen lang durfte ich dann gemeinsam mit der Leiterin an einem Plan für die Sicherung der Zukunft der Einrichtung arbeiten, denn die Finanzkriese führte auch in Südafrika zu vielen Jobverlusten. Ein soziales Netzwerk wie in Deutschland existiert nicht. Wovon sollte man denn Schulgeld für die Kinder bezahlen, wenn ausreichend Essen noch nicht einmal gewährleistet war. Eine schwierige Situation für beide Seiten.
Nächste Station meiner Tätigkeit war das Township Borolelo in Swartruggens. Auch hier arbeiteten zwei unserer „weltwärts“ Studenten für verschiedene soziale Projekte. Drei Tage hatte ich nun Zeit, mir alles zeigen zu lassen sowie alle wichtigen Partner kennen zu lernen, um diese Informationen in wenigen Tagen an die Nachfolger weitergeben zu können.
Ein Jahr Südafrika neigte sich für die erste Gruppe dem Ende entgegen. Es folgten Tage des Abschied Nehmens und Feierns. Eine Woche später sollte die nächste Gruppe ankommen. Wir stellten gemeinsam mit ein paar Frauen aus der Community unser Haus auf den Kopf. Schließlich wollten wir die Zeit der Eingewöhnung für die „Neuen“ so angenehm wie möglich machen. Wir begleiteten sie nach besten Kräften bei Ihren ersten Schritten in Afrika.
Die meiste Zeit jedoch konnte ich dem Frauenprojekt "Lesedi Domani" widmen. Es ist ein Projekt, das Frauen hilft, in dieser ländlichen Gegend ein eigenes kleines Einkommen mit der Anfertigung von Schmuck und Geschenkartikeln zu sichern. Meine in den letzten Jahren etwas vernachlässigte Begeisterung für Hand-arbeiten wurde zu neuem Leben erweckt. Die Projektleiterin ist ein wahres Multi-talent für die Herstellung von Handarbeiten aller Art und wir ergänzten uns prächtig.
Wir besuchten die Bosele Paper Making Cooperative in Lerato. Hier wird von 13 Frauen handgeschöpftes Papier hoher Qualität hergestellt. Ein seit 2001 existierendes, sehr beeindruckendes Frauenprojekt.
Groot Marico ist eine lebendige Kleinstadt, wo es Menschen gibt, die das literarische Erbe von Herman Charles Bosman bewahren. Er schrieb Kurzgeschichten, die einen starken Bezug zu Region Marico und dem Leben der Menschen in seiner Zeit haben. Die kleine Farm-Schule, in der er 1926 als Lehrer unterrichtete, wurde rekonstruiert und ein Festplatz für vielfältige Veranstaltungen entstand in unmittelbarer Nähe. Wir empfingen Schulkinder aus Mafikeng und halfen bei der Gestaltung eines erlebnisreichen Tages.
Leuchtende Kinderaugen, als Gast einen afrikanischen Gottesdienst erleben, freundliche und hilfsbereite Menschen überall, diese Eindrücke sind unvergessen und sie sind anders, als die eines Touristen, der ein Land bereist.
Für mich waren es wundervolle drei Monate, Menschen unterschiedlicher Kulturen auf gleicher Augenhöhe zu begegnen, viel voneinander zu lernen, auch neu zu begreifen, dass manches in Afrika einfach etwas mehr Zeit benötigt als in unserer hektischen Welt. Es ist eine Lebenserfahrung, die man nur machen kann, wenn man sich darauf einlässt - ganz gleich welchen Alters.
Danke an alle, mit denen ich diese Zeit erleben durfte.
“There is no other place I know that is so heavy with atmosphere, so strangely and darkly impregnated with that stuff of life that bears the authentic stamp of South Africa.”
Herman Charles Bosman
über die Region Marico